11.01.2024
Gespräch mit Chefarzt Professor Dr. med. Winfried A. Willinek zu Künstlicher Intelligenz in der Medizin
Herr Professor Dr. Willinek, beim Thema Künstliche Intelligenz hat es bisweilen den Anschein, dass diese für die einen ein Heilsversprechen ist, während bei anderen unterschiedliche Bedenken vorherrschen. Was überwiegt bei Ihnen: die Hoffnung auf neue Möglichkeiten dank KI oder die Furcht vor diesen?
Prof. Dr. Winfried A. Willinek: Künstliche Intelligenz ist nicht erst
Zukunft, sie ist längst in der Gegenwart angekommen. Auch in der Medizin, auch bei
uns hier im Brüderkrankenhaus. Allerdings trifft der Begriff „KI“ nicht ganz den
Kern, um was es eigentlich geht – die Intelligenz kommt primär vom Menschen. Es
geht um enorme, von uns Menschen geschaffene Algorithmen und Rechnerkapazitäten
und gigantische Datensätze, deren Verarbeitung ganz neue Möglichkeiten
schaffen. Diese Möglichkeiten sollten wir nutzen und die Entwicklung, die ich persönlich
für sehr vielversprechend halte, aktiv vorantreiben. Selbstverständlich birgt
die Nutzung von KI auch Risiken und es Bedarf hierfür ethischer
Kontrollmechanismen und Reglementierungen. Aber dessen sind sich ja auch die
absoluten Verfechter der KI bewusst.
Gerade in der Medizin erhoffen sich
viele, dass die KI in Diagnostik und Therapie einen weiteren Innovationsschub
bringen wird. Ganz konkret am Beispiel Ihres Fachgebiets: Was kann KI heute
schon leisten und inwiefern profitieren Patienten hiervon?
Prof. Willinek: Nehmen wir als Beispiel die Anwendung
von KI in der Prostata- und Hirnbildgebung. Wenn
es etwa darum geht, zunehmende Vergesslichkeit und Leistungsminderung abzuklären.
Hier kann KI schon leichte Veränderungen des
Hirnvolumens erkennen und diese analysieren. Bestenfalls hilft uns das, eine
frühzeitige Diagnose zu stellen und – wenn möglich – therapeutisch gegenzusteuern,
etwa durch Gedächtnis- und Sprachtraining. Gleiches gilt bei der Diagnostik beim
Prostata-Karzinom: die KI analysiert in Sekundenschnelle die multiparametrische
Bildgebung und unterstützt uns bei der Suche nach möglichen Krebsarealen in der
Prostata. Aber ich möchte betonen: Die Analyse mittels KI entbindet den
behandelnden Arzt niemals davon, sich selbst ein Bild von den Aufnahmen zu
machen und diese selbst zu interpretieren und zu befunden. Es kommt immer auf
die Erfahrung und Kompetenz des Arztes an, der zusätzlich alle klinischen Parameter
des Patienten hinzuzieht. Per Knopfdruck durch die KI die Diagnose Demenz oder
Krebs zu stellen – so weit darf und wird es
nicht kommen! Am Ende trifft der Arzt die Entscheidung, und er kann selbstverständlich
zu einem ganz anderen Ergebnis als die KI gelangen.
Aber worin liegt dann der konkrete
Nutzen der KI?
Prof. Willinek: Die KI unterstützt den Arzt in der meist
zeitaufwändigen Auswertung von Daten und Bildern. Ich hoffe, dass der Arzt
dadurch zukünftig mehr Zeit für den Patienten und Patientengespräche hat. Bleiben
wir beim Beispiel Prostata und der Bildgebung bei Verdacht auf Prostatakrebs.
Mittels KI-Anwendung erhalte ich binnen Sekunden eine Analyse und grafische
Darstellung, aus der ich ersehen kann, in welchen Bereichen der Prostata
Läsionen vorliegen und Tumoren aufgetreten sein könnten. Das System zeigt auch
auf, welche Größe und Dichte die von der KI als Tumor qualifizierte Veränderung
des Gewebes hat. Ich kann mir dann Bereiche nochmal gezielt ansehen und
vergrößern und muss beurteilen, ob es sich tatsächlich um einen Tumor handelt.
Dasselbe lässt sich für den Bereich der Lungendiagnostik und
Lungenkrebsvorsorge sagen. Auch hier zeigt uns die KI blitzschnell
Veränderungen im Lungengewebe wie zum Beispiel Knoten an, die ein geschultes
Auge vielleicht nicht auf Anhieb gesehen hätte. Ein weiteres Beispiel ist die
Röntgendiagnostik. Hier zeigen sich beispielsweise am Knochen bei einem
Knochenbruch oft nur sehr feine Linien. Gerade im Nachtdienst kann die KI den
Arzt unterstützen, solche feinen Knochenbruchlinien zu sehen. Alle diese
Techniken stehen uns im Brüderkrankenhaus zur Verfügung und wir evaluieren
gerade ihren möglichen Nutzen.
In den USA gibt es bereits rund 500
KI-Anwendungen, die in der Patientenversorgung zugelassen sind, hierzulande
sind es nur wenige Dutzend. Worin liegt diese eklatante Differenz begründet?
Prof. Willinek: Der Markt wächst rasant, und der
amerikanische ist schon aufgrund der Population von ca. 340 Millionen Menschen der
größere. Bei uns reglementieren der Datenschutz und das Medizinproduktegesetz
den Markt stärker, aber das ist aus meiner Sicht grundsätzlich auch richtig so.
Denn bevor eine KI überhaupt zur Anwendung kommt, sollte immer deren
Performance geprüft sein. Und was den Datenschutz anbelangt, möchte ich noch
einen wichtigen Aspekt unterstreichen – die Frage, wo die Daten von KI
verarbeitet werden. In einer Cloud in den USA? Bei uns bleiben die Daten in
unserem Krankenhaus und verlassen dieses auch nicht!
Stichwort falsch-positive oder falsch-negative
Diagnosen: Inwiefern liegt hier ein Risiko von KI-Anwendungen?
Prof. Willinek: Wie bereits ausgeführt darf die KI niemals den Arzt ersetzen. Aber es gibt mehrere Studien die belegen: Ein Arzt mit KI kann besser sein als ein Arzt ohne KI oder als die KI alleine. Wie die Robotik einen guten Chirurgen unterstützen kann, kann die KI einen erfahrenen Radiologen unterstützen, die diagnostische Sicherheit dann noch zu verbessern.
Die Entwicklung auf dem Gebiet der KI ist rasant. Was erwarten Sie, wo wir in einem Jahrzehnt stehen werden? Und was halten Sie dann im Bereich der Patientenversorgung für möglich?
Prof. Willinek: Ich bin bei Prognosen hinsichtlich der Entwicklung und der Zukunft in der Medizin sehr vorsichtig. Vor einigen Jahren hätte kaum jemand mit einer Pandemie infolge eines neu aufgetretenen Virus gerechnet; ebenso wenig damit, dass wir so schnell in der Lage sein würden, gegen das Virus zu impfen. Was die KI angeht: Keinen Zweifel habe ich, dass deren Entwicklung den gesamten medizinischen Bereich betreffen und für den Patienten viele Erleichterungen bringen wird, beispielsweise auch was den Bereich der Vorsorge und Medikation angeht. KI könnte als Frühwarnsystem für bestimmte Krankheiten dienen oder die Medikamententherapie sicherer machen. Und KI wird durch den allgemeinen gesellschaftlichen Trend zur Digitalisierung und den politischen Willen zur Umsetzung der Digitalisierung in der Medizin profitieren und weiter vorangetrieben, was große Chancen für die medizinische Versorgung bedeutet. KI ist Realität im Hier und Jetzt. Lassen Sie uns nicht auf eine Revolution warten, sie ist schon Längst im Gange. Lassen Sie uns mutig sein und die Chancen nutzen.
Die Fragen stellte Marcus Stölb, Mitarbeiter des Regionalbereichs Unternehmenskommunikation der BBT-Gruppe, Region Trier