Auftaktthema: „Das rechte und das unrechte Vergessen“. Prof. Dr. med. Matthias Maschke, Chefarzt der Abteilung für Neurologie, Neurophysiologie und neurologische Frührehabilitation referiert zum Thema "Der neurologische Blick auf das Vergessen" und nimmt am Podiumsgespräch teil.
In seiner Erzählung „Das unerbittliche Gedächtnis“ schilderte Jorge Luis Borges einen Menschen, der nicht in der Lage war, etwas zu vergessen. Dieser Mensch entwickelte kein Superhirn, sondern litt unter der Unfähigkeit, bestimmte Gedanken einfach abfließen zu lassen, um neue Erfahrungen speichern zu können. Diese Geschichte verdeutlicht zweierlei: Sie führt uns vor Augen, dass wir unter normalen Bedingungen dieses Leiden gar nicht verspüren, also ohne den expliziten Steuerungsmechanismus zu kennen, einfach bestimmte Dinge vergessen - und offenbar auch nicht mehr nach dem Vergessenen suchen. Der andere Fall ist die Überinformation, die Reizüberflutung, die letztlich durch das symbolische Verschließen der eigenen Ohren mit den eigenen Händen unterbunden werden soll. Hier läuft unser Speicher sozusagen über, weil wir die Dosierung nicht kontrollieren können. Die Chance, Teil des Gedächtnisses, also eines Speichers, zu werden, ist gering, ebenso die Chance auf Erinnerung. Letztere kann zwar mit dem individuellen Anspruch der Objektivität auftreten („Ich kann mich noch genau daran erinnern“), aber das ist nicht mehr als die Selbstbestätigung einer Auswahl, die morgen unter Umständen schon wieder anders sein kann. Mit dem Altern der Gesellschaft hat die Konfrontation mit den Tücken des Vergessens zugenommen. Zugleich sucht man auf diagnostischer Ebene nach Kriterien, die Grade des Vergessens definieren sollen. Während unter „normalen“ Bedingungen das Vergessen nicht problematisiert wird, wird die Abweichung von üblichen Erinnerungsleistungen als medizinisches Symptom gerahmt. Wo also beginnt der Bruch, dass bestimmte Formen des Vergessens nicht mehr als legitim bzw. habituell gesteuert wahrgenommen werden? Wie werden solche Kontrollverluste erlebt? Welche Situationen können sie verstärken, welche das Doch-Erinnern-Können unterstützen? Mit diesen Fragen wollen sich Mediziner, Soziologen, Psychologen und Theologen beschäftigen.
Prof. Dr. med. Matthias Maschke, Chefarzt der Abteilung für Neurologie, Neurophysiologie und neurologische Frührehabilitation referiert zum Thema "Der neurologische Blick auf das Vergessen" und nimmt am Podiumsgespräch "Das rechte und das unrechte Vergessen" teil.